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Risikokinder 2018

© shootingankauf – stock.adobe.com
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Ich bin in den 1970er Jahren zur Schule gegangen. Damals waren es die „katholischen Arbeitertöchter vom Lande“, die aufgrund ihrer sozialen Parameter die schlechtesten Chancen auf Bildungsbeteiligung hatten.*

 

Inzwischen diskutieren wir nicht mehr über die Bildungschancen von Mädchen: 50 % der Studienanfänger zum Wintersemester 2017/18 sind Frauen. Und wir haben in Deutschland eine flächendeckende Versorgung mit guten Schulen und Hochschulen. Aber immer noch ist der Zusammenhang zwischen sozioökonomische Status und Bildungsbeteiligung in Deutschland im internationalen Vergleich besonders stark. Der Bildungsbericht unterscheidet seit 2006 drei Risikolagen: (a) Bildungsstand und (b) Erwerbstätigkeit der Eltern sowie (c) geringes Familieneinkommen. Ein Drittel der Kinder in Deutschland, so die Erkenntnis des Bildungsberichts 2018, ist von mindestens einer dieser Risikolagen betroffen. Der Anteil der Kinder mit allen drei Risikolagen beträgt zwischen 2006 und 2018 konstant 4 %. Die schlechtesten Bildungschancen haben Kinder Alleinerziehender und Kinder mit Migrationshintergrund.

 

Wenn wir als Gesellschaft Bildungsgerechtigkeit ernst nehmen und mehr als ein Drittel unserer Bildungsressourcen nicht links liegen lassen wollen, dann müssen wir unsere Anstrengungen deutlich intensivieren. Kinder mit Migrationshintergrund erhalten in ihren Familien weniger Rückendeckung für den Besuch eines Gymnasiums und/oder fühlen sich – wie die #MeTwo-Debatte kürzlich wieder gezeigt hat – von von Lehrern aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert. Lehrkräfte mit Migrationshintergrund haben daher eine doppelte Funktion: Sie sind authentische positive Vorbilder und Vertrauenspersonen.

Es gilt daher, die Diversität im Lehrerzimmer zu fördern. 35 % aller Schüler/-innen haben aktuell einen Migrationshintergrund, aber nur 10 % der Lehrkräfte. Das ist zu wenig. Es verwundert daher nicht, wenn der Einfluss von Lehrkräften mit Migrationshintergrund auf die fachlichen Leistungen der Schüler/-innen laut einer aktuellen empirischen Untersuchung gering ist. [5] Die Studie darf nicht der Grund dafür werden, die Anstrengungen für mehr kulturelle Vielfalt unter den Lehrkräften zu reduzieren oder gar einzustellen. Fachliche Kompetenz ist zwingend notwendig, aber ein Politik-Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte, der mit seiner Klasse die rassistischen Tendenzen in Deutschland reflektiert oder mit einer Schülergruppe nach Dachau fährt, wirkt nicht nur der Bildungsbenachteiligung von Migranten entgegen. Er bewirkt auch mehr für die Demokratiekompetenz aller seiner Schüler/-innen als sich in Leistung messen lässt.

 

Nachtrag vom 24.10.2018

Die gestern veröffentlichte Studie der OECD bestätigt ein weiteres Mal die schlechteren Bildungschancen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Der Effekt wird zwar seit 2006 schwächer, ist aber nach wie vor im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr stark.

Es fehlt nicht an wissenschaftlichen Belegen. Es fehlt nur an echten Programmen, diesen Missstand zu beheben.

 

Quellen:

* Ralf Dahrendorf: Bildung ist Bürgerrecht. Hamburg (Nannen-Verlag) 1966.

 

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