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Vor zwei Tagen war ich auf Einladung der Frankfurter Buchmesse und des Türkischen Verlegerverbandes auf der International Istanbul Book Fair und nahm dort zusammen mit Karin Plötz von LitCam an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Lesekultur und Leseförderung in Deutschland“ teil.
Anders als die Frankfurter Buchmesse, ähnlich wie die Leipziger Buchmesse richtet sich die Istanbuler Buchmesse direkt an das Publikum. Entsprechend tummelten sich Buchkäufer an den Ständen der vielfältigen Belletristik-, Sachbuch- und sogar Schulbuchverlage. Leser jedweder Altersgruppe, Familien und – was mich besonders erstaunt und gefreut hat – sehr, sehr viele junge Leute verließen die Buchmesse mit Tüten voller neu erschienener Druckwerke. Die stark rabattierten Preise trugen dazu sicherlich bei, denn in der Türkei gibt es keine Buchpreisbindung.
Die Türkei hat eine ausgeprägte Lesekultur. Auf 79,8 Millionen Einwohner im Jahr 2017 kamen lt. Angaben des Türkischen Verlegerverbandes über 628 Millionen verkaufte Bücher – das sind im Durchschnitt knapp 8 Bücher pro Einwohner im Jahr. Vergleicht man dies mit Deutschland, so kommt man „nur“ auf knapp 7 Bücher pro Einwohner pro Jahr (siehe Börsenverein / PwC), obwohl die Alphabetisierungsrate in Deutschland um einiges höher ist als die in der Türkei. Laut Auskunft des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels nimmt die Anzahl der Buchkäufer in Deutschland seit Jahren kontinuierlich ab: Waren es 2013 noch 53 % der Menschen in Deutschland, die mindestens ein Buch gekauft haben, waren es 2017 lediglich 44 % der deutschen Bevölkerung.
So gut es für den Publikumsmarkt in der Türkei aussieht, so problematischer ist der Schulbuchmarkt. Im Bildungsministerium in Ankara werden die zentralen Schulbuchentscheidungen für die Schulen im gesamten Land getroffen – und diese Schulbuchentscheidungen des Türkischen Bildungsministeriums fallen seit einigen Jahren immer stärker zugunsten der staatlichen Verlage. Damit zeigt sich in der Türkei eine Tendenz, die sich in vielen autoritären Staaten bzw. Staaten mit eingeschränkter Demokratie beobachten lässt: Der Staat bedient sich der Schulbücher, um sein Gesellschaftsbild und seine nationalen Erziehungsziele durchzusetzen.
Die deutsche Schulbuchzulassung und der deutsche Grundsatz der pädagogischen Freiheit und Verantwortung der Lehrkraft ist dazu das Gegenmodell. Am Beispiel der Leseförderung in Deutschland lässt sich sehr gut zeigen, wie durch nationale Bildungsstandards und bundesstaatliche Lehrpläne ein Rahmen geschaffen wird, in dem ein hochqualitatives und differenziertes Angebot entsteht, aus dem Schulen und Lehrende das passsende Material für ihre spezifischen Rahmenbedingungen auswählen können. Individuelle Förderung der Schüler über vielfältige Themen, unterschiedliche Leselernmethoden oder verschiedene Schwierigkeitsstufen von Texten wird so möglich und für Lehrkräfte mit großen und heterogenen Lerngruppen praktikabel. Was die Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler angeht, so sind wir sicherlich noch nicht da, wo wir sein wollen. Trotzdem muss man anerkennen, dass sich Deutschland in den PISA-Tests seit dem Jahr 2000 bis 2015 vom Rang 21 auf den Platz 11 vorgearbeitet hat – und dies nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Land, Schulen, Lehrkräften, NGOs, Stiftungen und nicht zuletzt Verlagen.
Die Türkei steht derzeit auf der PISA-Rangliste im Bereich Lesekompetenz auf Platz 50. Vielleicht bietet das deutsche Modell ja einige Anregungen für die türkische Bildungspolitik.
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